Abbildung von 12 Landräten des Landkreises Sankt Wendel, dahinter eine historische Aufnahme des Landratsamtes

1945–1946: Dr. Franz Heinrich Strauß

Entbehrungsreich sind die Kriegsjahre für die einfache Bevölkerung, je länger der Krieg dauert. Kriegswirtschaft, Lebensmittelknappheit, „totaler Krieg“. Der von deutschem Boden entfachte Krieg kehrt auf deutschen Boden zurück, verschlingt weiter Menschenleben. Über 15.700 Bürger aus dem Kreis St. Wendel sind in Uniform, bis zum Ende des Krieges sterben mindestens 2660. Eine Schätzung des Kreisbauamtes aus dem Jahr 1948 beziffert den Umfang der Kriegsschäden im Kreis auf rund 15 Millionen Mark.

Ab dem Spätsommer 1944 nehmen alliierte Luftangriffe im Raum St. Wendel zu. Am 6. Dezember 1944 treffen Bomben unter anderem den St. Wendeler Bahnhof und das in unmittelbarer Nähe stehende Landratsamt. Amerikanische Truppen stoßen in den Kreis St. Wendel vor, nehmen am 18. März 1945 die Stadt St. Wendel unter Beschuss, erobern sie kurz darauf. Das Verwaltungshandeln kommt zum Erliegen, muss durch die Militärregierung wieder von Grund auf errichtet werden.

Die oberste Gewalt im Kreis St. Wendel hat zunächst Captain Stanley R. Jacobs als kommandierender Offizier der Militärregierung inne. Die St. Wendeler Stadtverwaltung nimmt ihre Arbeit wieder auf, ihr folgen die Amtsbürgermeistereien, schließlich die Kreisverwaltung – jene mit Sitz in Ottweiler. Jacobs bestimmt Maximilian Rech zum Landrat der Kreise St. Wendel und Ottweiler, die Stilllegung St. Wendels besteht somit vorerst fort. Aufgabe der Kreisverwaltung ist es, die Befehle der Militärregierung auszuführen. Dazu zählen auch jene, die eigentlich übergeordneten Verwaltungsstellen gelten; da diese fehlen, sind es die Kreise, die etwa auch für Reichssteuern oder Zölle zuständig sind. Vorrangig gilt es aber, die Infrastruktur wieder aufzubauen, die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen, Wohnraum zu schaffen, die Wirtschaft wiederherzustellen. Zudem Renten, Pensionen, Finanzfragen zu klären.

Themen, die auch die Landrätekonferenzen bestimmen. Denn die Militärregierung ernennt am 4. Mai 1945 den Saarbrücker Juristen Dr. Hans Neureuter zum Regierungspräsidenten für das Saargebiet. Somit wird das Saarland wieder eine Verwaltungseinheit, und zwar zunächst in den Grenzen der Völkerbundsverwaltung 1920 bis 1935. Das Regierungspräsidium in Saarbrücken lädt für den 2. Juni 1945 zur ersten Landrätekonferenz ein. Neureuter führt dabei aus, heißt es im Protokoll, dass „bei den jetzigen chaotischen Zuständen der Aufbau der Verwaltung nur dann erfolgsversprechend sei, wenn alle eingesetzten Kräfte eng zusammenarbeiten und sich vor allen Dingen auf die Zuständigkeiten beschränken, die ihnen aufgrund der bestehenden Gesetze zugewiesen sind.“ Unter den Anwesenden ist auch Dr. Maximilian Rech, Landrat von Ottweiler, zugleich von St. Wendel. An der zweiten Konferenz am 16. Juni 1945 nimmt bereits sein Nachfolger teil: Dr. Franz Heinrich Strauß.

Strauß kommt am 24. Dezember 1882 in Reden, Kreis Ottweiler, zur Welt. Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften ist er zunächst Gerichtsreferendar, dann Gerichtsassessor, von 1910 bis 1912 arbeitet er in den Kommunalverwaltungen von Brühl, Neuß und Neunkirchen (Saar), wird 1912 Hilfsrichter bei den Amtsgerichten Köln, Bergheim, Saarbrücken und Tholey, ab 1919 Amtsrichter in St. Wendel. 1944, im Zuge des Hitlerattentates, wird Strauß in so genannte „Schutzhaft“ in das Lager Neue Bremm eingewiesen und des Amtes enthoben. Im Juni 1945 ernennt ihn die amerikanische Militärregierung zum Landrat der Kreise Ottweiler und St. Wendel, im Dezember 1946 wird er von der französischen Besatzungsbehörde abberufen, ist danach noch wenige Wochen Landrat des Landkreises Ottweiler. Strauß ist von 1947 bis 1952 Abgeordneter der CVP (Christliche Volkspartei) im ersten saarländischen Landtag. 1963 wird Strauß das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Er stirbt am 10. Mai 1968.

Die Ernennung Strauß‘ zum Landrat führt zu einem regen Briefverkehr zwischen Orts- und Amtsbürgermeistereien, schließlich auch dem neuen Landrat. Denn man wittert die Chance, eine eigene St. Wendeler Kreisverwaltung wiederherzustellen. Vor allem zwei Gründe werden angebracht: die als unverhältnismäßig angesehenen Abgaben an das Kreisernährungsamt A in Ottweiler und der lange Weg nach Ottweiler. „Ich erinnere“, schreibt etwa der Alsweiler Ortsbürgermeister, „nur an die gesamte Ablieferung von Schlachtvieh, Getreide und besonders die Milch in den Kreis Ottweiler, anstatt nach St. Wendel wo sie hingehört.“ Der Winterbacher Ortsbürgermeister meint in diesem Zusammenhang, in Ottweiler herrsche „wohl ein starkes Bedürfnis zum Nehmen aber nicht zum Geben“. Und dies erzeuge in der Bevölkerung „eine Misstimmung und den Eindruck, dass wir für den Kreis Ottweiler nur Ausbeutungsobjekt sind.“ Dabei bezieht er sich auch auf die jüngste Vergangenheit: „Nach der militärischen Niederlage und der Katastrophe auf fast allen Gebieten, als Folge des Naziregimes, waren es der Kreis St. Wendel und seine Gemeinden, die unterstützt von der Alliierten Militärregierung die Initiative, besonders in der Versorgungslage ergriffen und dadurch eine Hungersnot abwandten.“ Aus Gronig heißt es unter anderem: „Die Zusammenlegung der Kreise brachte für unsere Bevölkerung außerordentliche Schwierigkeiten und Hemmungen im Verkehr mit den Behörden“ – sowohl das Landratsamt als auch die Verwaltungen aller Bürgermeistereien sind vor der Stilllegung des Kreises in der Stadt St. Wendel beheimatet. Und habe ein Bauer eine dringende Angelegenheit mit dem Kreis zu klären, so müsse er, wie der Bliesener Bürgermeister schreibt, „fast einen ganzen Tag von der Feldarbeit ablassen“, um nach Ottweiler zu kommen. Ähnliches gelte für den Arbeiter. Die Gründe seiner Ortsbürgermeister fasst unter anderem der Alsweiler Amtsbürgermeister zusammen und schreibt dem Landrat: „Auf die sonstigen Abgaben und verwaltungstechnischen Erfordernisse einer notwendigen Selbstverwaltung des Kreises St. Wendel näher einzugehen, erübrigt sich, zumal Herrn Landrat die Verhältnisse durch eigene Erfahrung hinreichend bekannt sind.“ Er bittet somit, wenn nichts dagegenspreche, um weitere Veranlassung.

Am 10. Juli 1945 werden die amerikanischen durch die französischen Besatzungstruppen abgelöst. Das Saarland soll nach dem Willen der nun französischen Militärregierung auch weiterhin eine eigene Verwaltungseinheit bilden, doch verfolgt sie das Ziel, das Saargebiet von Deutschland zu trennen, einen Sonderstatus zu verleihen. So werden beispielsweise ab 1946 die Saargruben unter französische Verwaltung gestellt, im Dezember 1946 folgt die Zollunion mit Frankreich.

Auf Kreisebene setzten die Franzosen im Sommer 1945 jeweils einen Kreisbeauftragten der Militärregierung (Délégué de Cercle du Gouvernement Militaire) ein, der für St. Wendel zunächst in Ottweiler residierte. Jedoch sollen dem Willen der französischen Militärregierung – und offenbar jenem der St. Wendeler Bevölkerung – die Kreise St. Wendel und Ottweiler nun doch wieder getrennt werden. Dies geschieht zum 1. September 1945. Der Délégué de Cercle zieht nach St. Wendel. Franz Heinrich Strauß wird nun (nur noch) Landrat des Kreises St. Wendel.

Da das Landratsamt sowie weitere Kreisgebäude zerbombt sind, zieht die Kreisverwaltung zunächst in die Landwirtschaftsschule; erst im Sommer 1946 kann ein Teil des Landratsamtsgebäudes wieder bezogen werden, ab 1948 wieder vollständig. Die Kreisverwaltung hat weiter die Befehle der Militärregierung umzusetzen, doch zunehmend darf sie, natürlich unter französischer Kontrolle, eigenverantwortlich handeln; auch übergeordnete Dienststellen nehmen wieder ihre Arbeit auf.

Zudem wächst der Kreis St. Wendel im Zuge von Neugliederungen der Länder Rheinland-Pfalz und Saarland sowie des Saarlandes an sich, zunächst am 20. Juli 1946. Aus dem Landkreis Birkenfeld kommen zu St. Wendel die Gemeinden Bosen, Eckelhausen, Eisen, Eiweiler, Gehweiler, Gonnesweiler, Grügelborn, Hirstein, Leitersweiler, Mosberg-Richweiler, Neunkirchen/Nahe, Reitscheid, Schwarzenbach, Selbach, Sötern, Steinberg-Deckenhardt, Türkismühle und Wahlhausen. Am 1. Oktober 1946 folgen aus dem Kreis Ottweiler das Amt Tholey mit den Gemeinden Bergweiler, Hasborn-Dautweiler, Lindscheid, Neipel, Scheuern, Sotzweiler, Theley, Tholey; aus dem Kreis Wadern das Amt Nonnweiler mit den Gemeinden Bierfeld, Braunshausen, Buweiler-Rathen, Kastel, Kostenbach, Nonnweiler, Otzenhausen, Primstal und Sitzerath. Im Oktober 1946 scheiden jedoch aus dem Kreisgebiet die Gemeinden Steinbach und Wetschhausen. Eine weitere Vergrößerung des Kreisgebietes erfolgt 1947.

Bereits die amerikanische Militärregierung beginnt mit der Entnazifizierung. Dazu muss ein umfangreicher Fragebogen ausgefüllt werden. Die französische Militärregierung führt dies fort. Beauftragt ist jeweils der Landrat. Die Kreisverwaltung richtet drei Säuberungsausschüsse ein: einen für Behörden, zwei für Wirtschaftsunternehmen, die ab April 1947 auch für die Behandlung der Anträge für die vorläufige Versorgung der Opfer des Nationalsozialismus zuständig sind. 1947 wird ein Untersuchungsausschuss für den Kreis geschaffen, der über Einsprüche urteilt.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus soll Deutschland ein demokratischer Staat werden, auf allen Ebenen. Am 15. September 1946 finden im Kreis St. Wendel Gemeinderatswahlen statt, die dann ihre Bürgermeister und Beigeordneten wählen. Vorausgegangen ist die Neugründung von Parteien. Im Kreisgebiet erhält die Christliche Volkspartei (CVP) bei den Gemeinderatswahlen insgesamt 56 Prozent der Stimmen und stellt 40 Bürgermeister, die Sozialdemokratische Partei (SPS) 12 Prozent der Stimmen (acht Bürgermeister). Die Kommunistische Partei (KP) kann 4 Prozent (sechs Bürgermeister), verschiedene freie Listen 28 Prozent (19 Bürgermeister) auf sich vereinen. Eine demokratisch legitimierte Vertretung auf Kreisebene wird erst 1949 eingerichtet. Dies dann unter dem Nachfolger Strauß‘, denn dieser wird im Dezember 1946 durch die französische Militärregierung von seinem Posten enthoben. Spekuliert wird, seine Abberufung stehe im Zusammenhang mit seiner einstigen Tätigkeit als Amtsrichter in St. Wendel.