Abbildung von 12 Landräten des Landkreises Sankt Wendel, dahinter eine historische Aufnahme des Landratsamtes

1929–1935: Dr. Franz Schmitt

Der Friedensvertrag von Versailles schreibt vor, dass 15 Jahre nach dessen Inkrafttreten die Einwohner des Saargebietes entscheiden, ob die gegenwärtige Rechtslage bestehen, das Saargebiet an Deutschland oder aber an Frankreich angegliedert werden soll. Doch bereits 1929 kommt es zu deutsch-französischen Verhandlungen über eine Rückgliederung an Deutschland. Darüber spricht auch der Kreistag des Kreises St. Wendel während seiner Sitzung am 12. Dezember 1929 und verabschiedet eine Resolution, in der die Rückgliederung gefordert wird: „Insbesondere ist es der einheitliche Wunsch der ganzen Bevölkerung, vornehmlich der im Bergbau beschäftigten Arbeitnehmer, dass die Gruben wieder in den Besitz des preussischen und bayerischen Staates überführt werden. Der Kreis St. Wendel will, wie das gesamte Saargebiet, vereint sein mit dem Mutterlande, der Deutschen Republik. (…) Wir wünschen dies um so nachhaltiger, da der Kreis St. Wendel infolge der Grenzziehung auseinergerissen und dadurch in seinen wirtschaftlichen Beziehungen und Belangen grossen Nachteilen ausgesetzt ist.“ Die Resolution wird verlesen, als der Vorsitzende die Sitzung geschlossen und den Sitzungssaal verlassen hat. Denn der Regierungspräsidenten hat angewiesen, derartige Resolutionen nicht zuzulassen.

Vorsitzender der Sitzung ist Landrat Franz Schmitt. Am 30. Juli 1897 in Püttlingen geboren, studiert er in Heidelberg Jura und wird 1926 promoviert. 1927 leitet er kommissarisch die Bürgermeisterei Ludweiler i. Warndt, ab 1929 ist er zunächst kommissarisch Landrat des Kreises St. Wendel, die definitive Ernennung folgt ein Jahr später. Landrat des Landkreises Saarlouis ist er ab 1935. Schmitt stirbt am 2. Mai 1945 während einer Kur im Schwarzwald.

Die endgültige Ernennung Schmitts zum Landrat des Landkreises Sankt Wendel diskutiert der Kreistag in seiner Sitzung am 27. Juni 1930. „Sämtliche bürgerlichen Parteien“, heißt es im Sitzungsprotokoll, „brachten übereinstimmend zum Ausdruck, daß der derzeitige Kreisverwalter, Herr Dr. Schmitt, infolge seines gerechten, unparteiischen und leutseligen Handelns sich das Vertrauen der Kreisbevölkerung erworben habe, und daß seine Vorbildung und seine Fähigkeiten in jeder Beziehung die Gewähr dafür bieten, daß die Geschicke des Kreises in gute Hände gelegt werden.“ Dagegen kann auch der KPD-Abgeordnete nichts einwenden, kündigt allerdings an, sich seiner Stimme zu enthalten, da der Landrat „Vertreter einer reaktionären Regierung“ sei. Keine Bedenken gegen die Person hat auch die SPD-Fraktion. Jedoch erklärt diese, dass angesichts einer „bald zu erwartenden Rückgliederung des Saargebietes an die Deutsche Republik“ ein kommissarischer Landrat ausreiche. Schließlich bittet der Kreistag die Regierungskommission bei 17 Ja-, 3 Nein-Stimmen und einer Enthaltung, Schmitt zum Landrat zu ernennen.

Hitzige Diskussionen bestimmen die Amtszeit Schmitts. Jahre, in denen die nationale Frage prägend ist. Jahre, die von Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot, wirtschaftlichen Krisen, politischer Frontstellung geprägt sind. Im gesamten Saargebiet. Die Verwaltungen versuchen, auf die ungünstige Lage einzuwirken. Im Landkreis St. Wendel werden insbesondere Straßen ausgebaut, die Blies reguliert (auch als Hochwasserschutz), dabei Arbeitslose beschäftigt. Um das Handwerk zu unterstützen, werden Bauaufträge verteilt, Ältere und Invaliden unterstützt. Um alles zu finanzieren, sind unter anderem Anleihen notwendig, daher wird die Regierungskommission durch den Kreistag regelmäßig aufgefordert, dem Kreis mehr Gelder zur Verfügung zu stellen.

Die Gemeinden sind verpflichtet, die Mittel für die „Erwerbslosenunterstützung“ aufzubringen. 5/6 der Kosten erhalten sie von der Regierungskommission – die 1933 diesen Zuschuss auf 2/3 kürzt. Bereits 1932 werden die Kommunen des Saargebietes mit einer Verordnung zur „äußersten Sparsamkeit“ verpflichtet, zudem müssen nun alle kommunalen Anleihen von der Regierungskommission genehmigt werden. Gegen die „von der Regierungskommission beabsichtigten Maßnahmen der Beschneidung der Selbstverwaltung der Gemeinden und Kreise“ protestiert der St. Wendeler Kreistag mit einer Resolution, die während der Sitzung am 23. März 1932 verabschiedet wird. Zeitgleich werden diverse Steuern erhöht, um die klammen Staatskassen wieder etwas aufzufüllen.

Um die Not der Bevölkerung zu lindern, schließen sich 1930 die Wohlfahrtsvereine im Kreis zur „Sozialen Nothilfe des Kreises St. Wendel“ zusammen. Dies auf Initiative des Landrats. Dabei dominieren die karitativen Vereine der drei größten Konfessionen im Kreisgebiet. Hauptsächlich durch Spenden getragen, verteilt die Nothilfe vor allem im Winter Lebensmittel, Kleidung, Kohle, Brennholz und Geld an Bedürftige, unterstützt und beschäftigt aber auch Arbeitslose. Die „Soziale Nothilfe des Kreises St. Wendel“ geht 1933 in das nationalsozialistische „Deutsche Winterhilfswerk an der Saar“ auf.

Kommunalwahlen stehen im November 1932 an. Das Ergebnis der Kreistagswahl: Mit 13 Sitzen bleibt das Zentrum die stärkste Fraktion (wobei die Zentrumspartei im Wahlkampf in Zentrum Stadt und Zentrum Kreis aufgeteilt ist), zweitstärkste Kraft im Kreistag sind nun die Kommunisten mit vier Mandaten. Drei Abgeordnete stellen die Sozialdemokraten, jeweils einen die Bürgerliche Vereinigung, die „Vereinigung der Haus- und Grundbesitzer sowie Neubauinteressenten im Kreis St. Wendel“ sowie die NSDAP.

Am 12. Dezember 1932 tritt der neu gewählte Kreistag erstmals zusammen. Die Tagesordnung sieht Neuwahlen für diverse Gremien vor. Den Wahlgängen folgt die Verabschiedung einer Resolution, die die Regierungskommission erneut auffordert, Maßnahmen zur Linderung der Not zu ergreifen. Sozialdemokraten und Kommunisten schließen sich dieser nicht an. Die kommunistische Fraktion erklärt ihrerseits: „Die grundsätzliche Stellungnahme der Kommunisten zum Kreisparlament ergibt sich aus ihrer grundsätzlichen Auffassung gegenüber der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und des kapitalistischen Staatsapparates.“ Sie sehe sich als „einzige Interessenvertreterin der werktätigen Bevölkerung“, den Kreis als „ein Bestandteil und zwar eine der untersten Zellen des kapitalistischen Staatsapparates“. Da das System abgelehnt, eine sozialistische Wirtschaftsordnung angestrebt werde, „werden die Kommunisten den schärfsten Kampf gegen die Finanzpolitik des Kreises“ führen.

Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der Umbau des deutschen Staates hin zu einer totalitären Diktatur beginnt. Gleichschaltung und Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus werden Staatsdoktrin. Im Saargebiet wird Hitlers NSDAP 1923 verboten, 1926 erfolgt die Wiedergründung und Genehmigung durch die Regierungskommission, die Reichs-NSDAP bleibt jedoch bis 1935 illegal. Dennoch: 2.500 Mitglieder zählt die Saar-NSDAP Anfang 1933, im Mai gleichen Jahres bereits 15.000. Vor dem Hintergrund der 1935 anstehenden Saarabstimmung – es solle eine Massenbewegung geschaffen werden, um eine „Rückgliederung“ an das Deutsche Reich zu erreichen –, gründet sich im Juli 1933 im Saargebiet die Deutsche Front, ein Zusammenschluss bürgerlicher Parteien (Zentrum, DNVP, DSVP, Wirtschaftspartei) und der NSDAP. Im Herbst 1933 lösen sich die bürgerlichen Parteien weitestgehend auf, die NSDAP blieb selbstständig, was zur Gründung der zweiten Deutschen Front führt. Im März 1934 Schließlich folgt die Gründung der dritten Deutschen Front, in der auch die NSDAP ihre Selbstständigkeit, zumindest dem Anschein nach, aufgibt. Die Deutsche Front, nach dem „Führerprinzip“ organisiert, entwickelt im Saargebiet eine massive Propagandatätigkeit, in Presse und Rundfunk, auch in Vereinen; sie versucht, möglichst große Teile der Bevölkerung als Mitglieder zu gewinnen – und dies nicht immer freiwillig. Der Ordnungsdienst der Deutschen Front ist nicht nur bei den zahlreichen Veranstaltungen und Versammlungen, auch im Kreis St. Wendel, aktiv, sondern schüchtert ebenso politische Gegner ein. Das notwendige Geld für ist da: Neben Mitgliedsbeiträgen wird die Deutsche Front auch aus dem Reich finanziert.

Der Kreistag des Kreises St. Wendel tagt am 28. März 1934. Vor Beginn verkündet der Zentrumsabgeordnete Johann Neis, die „bürgerlichen Parteien“ (Zentrum, Bürgerliche Vereinigung, Vereinigung der Haus- und Grundbesitzer, NSDAP) haben sich zur Fraktion der Deutschen Front zusammengeschlossen: „Wesen und Ziel der Deutschen Front sind die Zusammenfassung aller Saardeutschen in dem einen Sinne: Die Rückgliederung an unser Vaterland durchzuführen! Wir begrüßen es, wenn alle Saardeutschen, die es ernst meinen mit der Liebe zu Volk und Vaterland, sich den Reihen der ‚Deutschen Front‘ anschliessen. Wir werden den Weg, den wir für notwendig befunden haben, auch für die Zukunft weitergehen gemäss unseres Mottos das für jeden Saardeutschen gilt: ‚Zurück zu Deutschland‘.“
Daraufhin verliest das Kreistagsmitglied Albert Witzak eine Erklärung der Kommunistischen Partei, die, so das Sitzungsprotokoll, „schwere Beleidigungen gegen die deutsche Reichsregierung“ enthält. Ordnungsrufe folgen, Witzak wird das Wort entzogen – was er ignoriert –, die Sitzung unterbrochen.

Nach Wiederaufnahme ist es der Sozialdemokrat Paul Hoffmann, der eine Erklärung seiner Partei vorliest: „Die sozialdemokratische Kreistagsfraktion lehnt den Eintritt in die sogenannte ‚Deutsche Front‘ des Kreistags St. Wendel ab. Wir haben noch zu keiner Zeit, weder früher noch heute, laut und feierlich unsere Zugehörigkeit zum Deutschtum besonders zu betonen brauchen. Wir waren deutsch, wir sind deutsch und wollen deutsch bleiben. (…) Wir erklären nach wie vor unsere tiefste Verbundenheit mit dem deutschen Volke, das wir schätzen, lieben, verehren. Wir wissen, dass das deutsche Volk nicht ohne weiteres gleichzusetzten ist mit seinen gegenwärtigen Beherrschern. Wir wissen, dass grosse Teile dieses Volkes die sitten- und kulturwidrigen Zustände der Gewissens-, Glaubens- und Meinungsfreiheit sowie der staatsbürgerlichen Entrechtung nicht gewollt hat und auch nicht billigt. Von einem Vaterlande haben wir die Auffassung, dass es ein Vaterhaus sein soll, das auch jeden seiner Angehörigen Raum für Freiheit, Gleichberechtigung und Anspruch auf Lebensmöglichkeit gibt. Diese selbstverständlichen Voraussetzungen sind heute in unserem Vaterlande nicht gegeben. An Stelle von Recht herrscht Willkür, statt Freiheit Unfreiheit. (…) Ein Regime der Gewalt, des Unrechts, der Unterdrückung, der Brutalität, des Geistes- und Gewissenszwangs lehnen wir ab. (…) Wir verleumden unser Vaterland nicht, aber wir haben ein Anrecht, als Mensch und Staatsbürger so behandelt zu werden, wie es den Grundsätzen der Zivilisation entspricht. Nur diese Voraussetzungen schaffen ein Vaterland, wo es jedem ermöglicht ist, sich darin wohnlich zu fühlen.“

Die Bevölkerung des Saargebietes stimmt am 13. Januar 1935, einem Sonntag, darüber ab, ob der Status Quo beibehalten oder ob das Saargebiet an Frankreich oder das Deutsche Reich angegliedert werden solle. Alle Wahlberechtigten aus dem Kreis St. Wendel müssen ihre Stimme in der Stadt St. Wendel abgeben. Kostenlose Busse bringen die Wähler an den nächsten Bahnhof oder gleich direkt in die Stadt. Bereits Ende Dezember 1935 wird hier eine vom Völkerbundsrat entsandte britische Kompanie stationiert, die für den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl zu sorgen hat. Den Befehl über die Polizei übernimmt ein tschechischer Polizeimajor. Am 15. Januar steht das Ergebnis der Volksabstimmung fest: 90,5 Prozent der wahlberechtigten Saarländer stimmten für das Deutsche Reich, 8,8 Prozent für den Status Quo, 0,4 Prozent für den Anschluss an Frankreich. Das Wahlergebnis im Kreis St. Wendel: 0,1 Prozent für Frankreich, 5,2 Prozent für den Status Quo und 94,7 Prozent für Deutschland.

Am 29. Januar spricht Landrat Schmitt während der Sitzung des Kreisausschusses laut Protokoll vom „herrlichen Abstimmungssieg der treudeutschen Bevölkerung an der Saar.“ Und weiter: „Mit besonderem Stolze dürften die St. Wendeler, deren Wahlergebnis mit 94,7 Prozent für Deutschland von allen saarländischen Kreisen, nach Merzig, das beste sei, ins große deutsche Vaterland zurückkehren.“